Das Starship Buero in Kreuzberg wird geschlossen

Ariane Müller ariane at artfan.org
Mon May 30 17:15:10 CEST 2005


31. Mai 2005
zum letzten mal in der Skalitzerstrasse 135a
Kreuzberg

we hope to see you all
to close our space
and watch the sun set
behind Zentrum Kreuzberg

abends ab 20:30

Please note the change in address
now:
Starship Magazine
bootlab
Ziegelstrasse 20
10117 Berlin

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STARSHIP #8
The year we have been nowhere
Das Jahr in dem wir nirgendwo waren

Hans Christian Dany, Martin Ebner, Ariane Müller
+ Jean Francois Lecrenier


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Zwischennutzt euch doch selbst
das Starship Büro in Kreuzberg wird geschlossen

April 2004

Starship ist in so etwas gezogen, in einen städtischen Lebensraum der Zukunft,
in eine Zwischennutzung, und seitdem wir nun unseren Zwischennutzungsmietvertrag
unterzeichnet haben, starrt mich dieses Wort an, als sollte es mir etwas über
das gesamte Leben in Berlin erzählen oder in Deutschland. Die wievielte
Zwischennutzung ist das nun, in der ich bin, seitdem ich in Berlin bin, ich weiß
es nicht.

Worüber ich hier schreiben will, ist nicht Gentrifizierung, also jener Prozess,
  der üblicherweise Kulturschaffenden in die Schuhe geschoben wird, die neue
Orte in der Stadt für Investoren erschließen, weil sie sie zuerst wegen billiger
Mieten für sich entdecken, durch bloße nette bürgerliche Anwesenheit aufwerten,
bis sie vom Anstieg der Mietpreise wieder vertrieben werden. Nein,
Zwischennutzung ist etwas anderes. Bei Gentrifizierung hatte man ja noch eine
sozusagen aktive Rolle, wenn auch die des Bösen. Der durch die Gentrifizierung
beschriebene Prozess anerkannte, dass diese zunächst angeeigneten Orte vorher
nichts wert waren und dass hier aktiv Leute Wertschöpfungsprozesse betrieben.
Keiner kam auf die Idee, anzunehmen, dass die heruntergekommene Etage mehr wert
sei, als man für diesen Ort bezahlen musste. Da war eher einer froh, einen
Blöden gefunden zu haben, der zumindest das Loch beheizte. Man zog dahin, weil’s
da eben billig war, und das, weil aufgrund der Gegebenheiten mit diesen Orten
nichts anzufangen war.

Als wir 1995 in ein verlassenes Erdgeschoßgeschäft einzogen, das keine Toilette
und keine Öfen hatte und dessen Wände noch anscheinend kriegsbedingte
Maschinengewehreinschüsse aufwiesen, hätte kein Mensch dafür mehr gezahlt als
wir. Und nachdem es ja anscheinend keinen Wunsch gab, diese Räume der
Bevölkerung zu überlassen, hat man versucht, sie zu vermieten, und das Gedränge,
solche Räume zu mieten, war abzusehender Weise gering, waren da doch nebenan
gleich noch so welche.

Das war vor zehn Jahren, und wenn wir heute in  einen Altbau von 1975 einziehen,
dessen gesamte Ladenzeile leer steht, in dessen Treppenhaus es nach Pisse riecht
und wo man über drei Hunde steigen muss, um die Haustür zu öffnen, während
gerade weitere den Müll durchstöbern, habe ich auch nicht den Eindruck, einer
Anwaltsfirma die Quadratmeter vor der Nase weggeschnappt zu haben. Nun, anyway,
es heißt Zwischennutzung und es heißt beim zwangzigstenmal immer noch
Zwischennutzung, als wären wir die einzigen, die mitbekommen haben, dass nach
unserem Auszug sich nie wieder einer fand, der sie gemietet hat, unsere
Zwischennutzung.

Ok, ich habe verstanden. Es soll nicht etwas über den Raum  sagen, es soll uns
etwas über uns sagen. Nicht der Raum wird zwischengenutzt, nein, wir sind die
Zwischennutzung vor der richtigen Nutzung, das Ding vor dem richtigen Ding.

Lange Zeit war das Eingehen auf Mietverträge, die als Zwischennutzung deklariert
waren, eine Art stillschweigende Wiederaufbaukomplizenschaft. Wir nahmen die
heruntergekommenen Orte, als kriegten wir etwas geschenkt, richteten sie ein,
ließen uns als lebendiger Teil von Berlin für den Reiseführer fotografieren, und
da man wusste, dass man auch wieder ausziehen würde, wurde die Zwischennutzung
fast zum selbstgewählten Begriff. Langsam wird diese stadtplanerische
Selbsttäuschung aber zur Beleidigung. Wer soll denn dieses richtige Ding sein,
für das alle diese Flächen freigehalten werden sollen? Als wäre nicht die
Realität dessen, der sich überhaupt noch an der Produktion gesellschaftlichen
Raums, zum Beispiel durch das Mieten von Räumen, beteiligt, einfach auch die
Realität der Stadt. Und als hieße das nicht, anzuerkennen, dass die Stadt sich
eben nicht durch Berliner-Bank-Filialen realisiert (oder Karstadt,
Opel-Filialen, you name it), die im eigentlichen Wortsinn Zwischennutzungen
dargestellt haben, seit diese Orte nun auch zu den schwer vermietbaren Flächen
zählen, sondern in denen, die sich an ihr durch ihre Benützung beteiligen.

Genau die Definition, dass das, was man tut, den Platz bloß für andere
Nutzungen, mögliche prospektive Zukunften, offen halten soll, keinerlei eigene
Definition außer eines Dazwischen aufbauen soll, ist Teil der strukturellen
Vernachlässigung eines produktiven Feldes und grundlegende Respektlosigkeit.
Strukturell, weil nie der Eindruck entstehen soll, diese nicht eindeutig
kapitalisierbare, über andere Intentionen aufgebaute Nutzung sei die reale
Nutzung dieser Stadt. Stattdessen wird so getan, als ließe man sie zu, als gäbe
es dahinter eine festgebaute Wand des Realen, das diese Entscheidungen trifft.
Eine Autorität, die jemanden zulässt, die etwas erlaubt, in einem genau
definierten Zwischen, mit der Festschreibung, dass es sich nie realisieren wird.

Die Obszönität dieses Autoritätsproblems dieser Stadt wird aber dann so
augenfällig, wenn ihre wirkliche Zwischennutzung, nämlich die auf sieben Jahre
angelegte Zwischennutzung der Stadt durch einen Sammler, der einer dieser 20
Familien angehört, die ihren Namen, sei es durch das Emblematisieren einer
gesellschaftspolitischen Entscheidung der Entsolidarisierung oder sei es durch
das Anlegen seines Vermögens in Sonderwirtschaftszonen, unbedingt hochzuhalten
wünschen, hier eben als wirklich großer Gewinn für die Stadt abgefeiert wird.
Ja, 100 Familien und 100.000 Bedienstete, so hat Stendhal einmal Wie beschrieben.
Die Herrschaftsgeste dieser Familien im Jetzt und Hier ist diese Sprache, in der
tausende Demonstranten den Namen des einen und hunderte Künstler den Namen des
anderen bedienen. Und wo wir auf der anderen Seite noch nicht mal mieten dürfen,
sondern bloß zwischennutzen. (a.m.)








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