So. 10.6. 20 Uhr: Cul de sac + The Bridge
pirate cinema berlin
sebastian at rolux.org
Thu Jun 7 21:27:10 CEST 2007
Wir bedanken uns für die zahlreichen Nachrichten, die uns in Rostock erreichten.
Zurück in Berlin, passenderweise via Bad Kleinen, bleibt nachzureichen, dass,
während in Rostock 100 mal dasselbe Auto brannte, 400 mal derselbe Polizist sich
am eigenen Tränengas verletzte und 200.000 mal derselbe Rostocker Bürger vor den
"Scherben seiner Existenz", im Grunde ein sehr schönes und völlig zutreffendes
Bild für den Alltag dort, stand, in Delhi bei Strassenschlachten mit der Polizei
mindestens 25 Menschen ums Leben gekommen sind, und der eigentliche und einzige
Grundkonsens, der die jugendliche Euphorie der Gipfel-Camper, die kompromisslose
Professionalität der Greenpeace-Aktivisten und den debilen Hochmut von Herbert
Grönemeyer befeuert, darin besteht, dass keine und keiner dieser 25 es verdient
hat, dass es von ihr oder ihm auch ein Bild gibt. "Der G8" ist ein gigantisches
Ablenkungsmanöver zur Aufrechterhaltung durch Bilder wie durch deren Abwesenheit
vermittelter gesellschaftlicher Verhältnisse zwischen Personen.
Den klügsten Text über Heiligendamm, also über Globalisierung, Umweltzerstörung,
Klimawandel, Abgashandel, Öko-Reformismus, NGO-Bürokratismus und die missliche
Lage von Staatschefs und Wissenschaftlern, die bei der Beschleunigung von
kapitalistischer Warenproduktion und technischem Fortschritt an eine planetare
Grenze stossen, hat, und zwar schon vor 36 Jahren, Guy Debord geschrieben <1>;
das schönste Bild von Heiligendamm, das bisher einzige, auf dem Tote zu sehen
sind, insgesamt vier, immerhin, deren legitimer Anspruch auf Abbildung eingelöst
wird, hat, aus Spiegel Online <2> und Monet <3>, Peter Grabher hergestellt <4>.
Ansonsten gibt es für uns "vom G8" eigentlich nicht mehr viel zu berichten.
<1> http://piratecinema.org/textz/guy_debord_the_sick_planet.html
<2> http://piratecinema.org/images/spiegel.jpg
<3> http://piratecinema.org/images/monet.jpg
<4> http://piratecinema.org/images/les_coquelicots_de_heiligendamm.jpg
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Sunday, June 10, 8 pm
Pirate Cinema Berlin
Tucholskystr 6, 2nd floor
8.30 pm: Cul de sac
Garrett Scott, 2002
57 min, 699 MB
9.30 pm: The Bridge
Eric Steel, 2006
91 min, 703 MB
Free entry
Cheap drinks
Copies to go
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"In May of 1995, Shawn Nelson, a 35 year old plumber from a suburb of San Diego,
California, emerged from a mineshaft he had constructed in his backyard. After
months spent mining for gold behind his Clairemont home, Nelson, an Army
veteran, drove a mile down the road to a nearby National Guard Armory and stole
a 60 ton tank. For nearly half an hour, Shawn Nelson continued unhindered down
surface streets and freeways until he was finally stopped [and killed, A.d.P.C.]
by police. No one else was hurt."
-- Opening titles of "Cul de sac"
"So... I got there, stood there for like 40 minutes on that spot, just crying my
eyes out. Joggers, bikers, runners, tourists, whatever, running by, walking by,
looking at me, didn't say anything. It's not their problem, but... anyway. And
this woman, she came up to me, she said, in a German accent: Will you take my
picture? And I was like: Your picture? Well, I'm gonna kill myself, what's wrong
with you? Can't you see the tears pouring out of my face? But she couldn't, she
was on her own hype. So I took her camera, took her picture, said: Miss, have a
nice day... turned back to the traffic, turned back to the bay, said: Fuck it,
nobody cares... and I hurdled over the bridge."
-- Kevin Hines, Golden Gate Bridge jumper (and survivor), in "The Bridge"
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Im Süden oder Westen ist es natürlich auch nicht besser. Zumindest nicht in
Kalifornien, in San Diego und in San Francisco, wo "Cul de Sac" und "The Bridge"
spielen, die zusammen zu zeigen uns zunächst einmal der Titel wegen, Sackgasse
und Goldenes Tor, in beiden Fällen Dead End, in den Sinn kam, die aber auch aus
anderen Gründen, vielleicht vor allem als zwei selbst ziemlich prekäre Filme
über aussichtslos prekäre Verhältnisse, zusammenpassen.
Garrett Scott erzählt die Geschichte von Shawn Nelson, dem, für die letzten 23
Minuten seines Lebens, Panzer-Amokfahrer von San Diego, spricht mit dem
zahnlosen Bruder, den White Trash und Latino Trash Freunden, den sprachlosen
Anwohnern und den ratlosen Cops, und zeichnet dabei ein derart bizarres Panorama
völlig plausiblen Wahnsinns - Armut, Drogen, Paranoia, gepaart mit einem
Galgenhumor von der luzidesten Sorte - dass man schon nach ein paar Minuten den
Eindruck hat, in einer Doku-Fiction, und zwar einer, die selbst die "Trailer
Park Boys" noch in den Schatten stellt, gelandet zu sein.
Eric Steel hat ein Jahr lang die Golden Gate Bridge, und dabei die meisten der
24 Menschen, die sich in diesem Zeitraum von der Brücke in den Tod gestürzt
haben, wozu später Angehörige und Bekannte Stellung nehmen, gefilmt, was auf
einigen Filmfestivals für einiges Aufsehen gesorgt hat (wenn auch, nach kurzer
Recherche, es so aussieht, als wäre unser Screening eine Deutschlandpremiere),
weil das Ergebnis, trotz routinemässiger Anrufe des Filmteams bei der Polizei,
sobald jemand länger als üblich am Geländer verweilte, und atemberaubend
gutaussehender Bilder von einem genauso weltbekannten wie sagenumwobenen Bauwerk
(Kim Novak sprang, da James Stewart nicht schwindelfrei war, nur, genau dort, wo
Eric Steel 50 Jahre später seine Kamera aufbauen sollte, von der Uferböschung,
und wurde, wie wir wissen, gerettet), eben doch ein Snuff Movie ist, was dem
Film durch die Bank als "verstörende" Qualität, Rezensionen bitte selber
googlen, attestiert wurde.
Am verstörendsten aber, und wenn wir "The Bridge" zuletzt zeigen, dann weil man
danach möglicherweise erstmal keinen amerikanischen Dokumentarfilm mehr sehen
möchte, ist die fast völlige Abwesenheit irgendeiner Erklärung für die
beobachteten Selbstmorde, die über eine Rekonstruktion eines rein persönlichen
Schicksals hinausginge. Garrett Scott nennt seinen Film eine "Suburban War
Story" und zeigt Shawn Nelsons Amokfahrt als Symptom des Niedergangs der in San
Diego einst, im Kalten Krieg wie im Vietnamkrieg, blühenden Militärindustrie;
sich vorzustellen, was in der Kommunikationstechnologie-Musterboomtown San
Francisco das Problem sein mag, bleibt den Zuschauern überlassen, die sich das,
selbst wenn sie es sich vielleicht würden vorstellen können, wahrscheinlich doch
lieber nicht würden vorstellen wollen oder gar, wie in diesem Fall, müssen. Die
Kritik von durch amerikanische Dokumentarfilme vermittelten gesellschaftlichen
Verhältnissen zwischen Personen könnte "The Bridge" um die ja auch ganz oben
schon angedeutete Einsicht bereichern, dass noch perverser als das perverseste
Bild das Unterschlagen des im Grunde einfachsten sein kann.
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